Dienstag, 5. Dezember

Zwei Männer   1. Teil

 

Als der Wolkenbruch, den sich der argentinische Himmel damals im Februar leistete, ein Ende gefunden hatte, stand das ganze Land unter Wasser. Und unter Wasser standen die Hoffnungen des Pflanzers von Santa Sabina. Wo ein saftgrünes Vermögen in Gestalt von endlosen Teefeldern mit mannshohen Yerbabüschen gestanden hatte, dehnte sich morgens ein endloses Meer. Der Farmer war vernichtet, das wusste er. Er saß auf einer Maiskiste neben seinem Haus. Das Maisfeld glich einem See. Die Hütte des Landarbeiters war darin verschwunden. Ihr  Schilfdach trieb im Strom davon. Er hatte sich zu seinem Herrn geflüchtet und saß neben ihm. Es war ein Indio, der mit breitem eisernen Gesicht ins Leere starrte. Seine Frau war ertrunken, als sie sich losließ, um ihre Hand zur Madonna zu erheben. Der Farmer hatte seine Frau in der Stadt. Sie würde vergeblich auf seinen Schritt vor der Tür warten. Denn der Farmer gab sich noch eine Nacht. Es ist unter Männern Brauch, daß man sich in gewissen Lagen die letzte Zigarette teilt. Der Farmer, im Begriff nach Mannesart zu handeln, wurde von seinem Peon unterbrochen: „Herr!“, rief der Indio, „der Parana! Der Strom kommt…!“

Er hatte Recht. Man hörte in der Ferne ein furchtbares Donnern. Der Parana, angeschwollen von Wasser und Wind, brach in die Teeprovinzen ein. Parana, das heißt der größte Strom Argentiniens. Er kam nicht mit Pauken und Posaunen.  Nein, man merkte ihn gar nicht. Aber plötzlich stand der Schuh des Farmers im Wasser. …

 

Als es dunkel wurde, standen  der Farmer und sein Peon bereits bis zum Bauch im Wasser. Sie kletterten auf das Schilfdach. Dort auf dem Gipfel saßen sie schweigend. Als das Wasser das Dach erreicht hatte, stieß es die Hausmauern nachlässig um. Es stürzte von den gebrochenen Pfosten, schaukelte und krachte, dann drehte es sich um sich selbst und trieb in die rauschende Finsternis hinaus. Es fuhr kreisend zu Tal. Es trieb am Rande der großen Urwälder vorbei. Blüten, Möbel und Leichen vereinigten sich zu einem Zug des Todes, der talwärts fuhr, einem undurchsichtigen Ende entgegen. Gegen Morgen richtete sich der Farmer auf und befahl seinem Peon nicht einzuschlafen. Der Indio verwunderte sich über die harte Stimme seines Herrn….

Günther Weisenborn