Ev.–Lutherische Kirchengemeinde Markt Erlbach

In Christus hat Gott selbst gehandelt und hat die Menschen mit sich versöhnt. Er hat ihnen ihre Verfehlungen vergeben und rechnet sie nicht an. Diese Versöhnungsbotschaft lässt er unter uns verkünden.  Uns Aposteln hat Christus den Auftrag und die Vollmacht gegeben, diese Botschaft überall bekannt zu machen. Ja, Gott selbst ist es, der durch uns die Menschen ruft. So bitten wir im Auftrag von Christus: »Lasst euch versöhnen mit Gott!  Nehmt die Versöhnung an, die Gott euch anbietet!« Gott hat Christus, der ohne Sünde war, an unserer Stelle als Sünder verurteilt, damit wir durch ihn vor Gott als gerecht bestehen können.               2. Korinther 5, 19—21

 

Liebe Gemeinde!

„Es tut mir leid!“ Worte der Entschuldigung. Ganz klar. Doch heute will ich genauer hinschauen. „Es tut mir leid!“ Soll heißen: Es tut mir leid, dass ich dieses oder jenes getan habe. Ich bereue es. Es war ein Fehler, meine Schuld. All das kann man hören, wenn jene Worte ausgesprochen werden: „Es tut mir leid!“

Doch da schwingt noch etwas anderes. Klar wurde mir dies, als ich mich in der Karwoche gefragt habe, ob Gott jene Worte aussprechen würde. Hintergrund dieser Überlegung war ein geradazu unaussprechlicher Gedanke: „Könnte es sein – ganz eventuell und vorsichtig gedacht, dass wir Gott vergeben müssen?“

Für einen Moment war ich selbst schockiert ob dieses Gedankens. Doch wenn ich ehrlich bin, beschäftigt er mich nicht zum ersten Mal. Er kommt mir immer wieder dann in den Sinn, wenn ich mit Menschen zu tun habe, denen Leid widerfahren ist, das die Frage nach Gott nahelegt. Diese Frage kommt zuerst vom Beter des 22. Psalms, wenn er ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Seither wird sie so oder ähnlich immer wieder gestellt – nicht zuletzt auch von Jesus in der Schilderung seiner Kreuzigung bei Matthäus und Markus – und sie führt mich zu eben jenem nahezu unaussprechlichen Gedanken, ob wir Gott vergeben müssen.

Eine absolute Anmaßung, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Trotzdem habe ich Gott versuchsweise ein „Es tut mir leid!“ in den Mund gelegt und mich gefragt, wie sich das anhört. Dabei bin ich zu folgender Erkenntnis gelangt: Ich glaube, dass Gott diese Worte tatsächlich ausspricht: „Es tut mir leid!“ Soll heißen: Es tut mir leid, dass du, Mensch, so leiden musst. Es tut mir leid, dass du dich von mir verlassen fühlst.

Gottes „Es tut mir leid!“ ist keine Entschuldigung. Es ist ein Mit-Leiden, ein Teilen der Trauer, ein Betroffen-Sein ob unserer Not. Gottes „Es tut mir leid!“ kommt in der Heiligen Nacht zur Welt. Es ist das Licht, das über jenen aufgeht, die im Dunkeln sind (Jes. 9,1). Und:

Gottes „Es tut mir leid!“ will vor allem eines zum Ausdruck bringen: Ich bin da.

Diese Worte muss ich Gott nicht in den Mund legen. Diese Worte sind in der Guten-Nachricht-Bibel die Übersetzung des Gottes Namen JHWH (2. Mose 3,14). „Ich bin da“ ist sozusagen das „Markenzeichen“ Gottes.

Um diesem „Markenzeichen“ vollkommen gerecht zu werden, bedarf es jedoch nicht allein der Menschwerdung Gottes, sondern auch dass Gott als Mensch jenes größte Leid des Menschen erleidet – den Tod. Erst so wird er uns Menschen völlig gleich.

Am Karfreitag wird so vollendet, was in der Heiligen Nacht begonnen hat: Gott ist da – auch im größten Leid. Auf diese Weise mündet alles Leid dieser Welt im Kreuz des Karfreitags, wo Gott als Mensch leidet und sich so mit unserem Schmerz und mit all dem sinnlosen Leid dieser Welt verbindet und sich mit uns versöhnt.

Ja, Gottes „Es tut mir leid!“ ist keine Entschuldigung, sondern die ausgestreckte Hand, die er uns in Jesus reicht, um bei uns zu sein. Es geht nicht darum, Gott zu vergeben, wenn wir sein „Es tut mir leid!“ hören, sondern darum, seine Hand zu ergreifen, um mit ihm verbunden und nicht länger von ihm getrennt zu sein, und uns außerdem vergeben zu lassen.

Gleichzeitig nämlich zu seinem „Ich bin da – auch im Leid“ kommt durch das Kreuz Jesu sein „Ich bin da – auch wenn du einen Fehler gemacht hast“ – siehe Vers 21.

Und hier ist mir eines ganz wichtig: Ja, wir machen Fehler. Ja, auch uns steht es gut zu Gesicht, ein „Es tut mir leid!“ zu formulieren. Aber auch bei uns sollte dieses „Es tut mir leid!“ heißen: Es tut mir leid, dass jemand hat leiden müssen. Es geht nicht darum, dass wir Fehler machen, sondern darum, dass andere darunter leiden.

Wer je einen solchen Fehler begangen und das Leid des anderen erkannt hat, der weiß um die große Bedeutung von Versöhnung, der weiß, was Gott uns am Kreuz anbietet. Beschrieben wird es in einem Lied von Jürgen Werth:

Wie ein Fest nach langer Trauer, wie ein Feuer in der Nacht,
ein off'nes Tor in einer Mauer, für die Sonne auf gemacht,
wie ein Brief nach langem Schweigen, wie ein unverhoffter Gruß,
wie ein Blatt an toten Zweigen, ein “Ich-mag-dich-trotzdem-Kuss“.

So ist Versöhnung, so muss der wahre Friede sein.

 

Darum kann ich mich Paulus nur anschließen und schreiben: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ und stimmt mit ein und betet:              Ich glaube an Gott, den Vater...

     ... Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen. 

Kirsten Kemmerer

Karfreitag 2020